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Werke • Band VI
Das Prinzip der Wiederholung
Gerd Jansen - Arbeiten 1988-1990
Institut für bildnerisches Denken
Grenzach-Wyhlen
Franz Joseph van der Grinten: Kunst hat viele Formen; in manchen von ihnen ist sie dem Spiel
verschwistert. Aber vielleicht ist ja das Spiel die ursprünglichste Form der Kunst: Ritus, Rollen-
übernahme, Formvollzug. Etwas will so getan sein, und dies geschieht in Verantwortlichkeit.
Wesentliche Bedingung des Spiels ist der Ernst, wesentlicher Vektor der Phantasie die Konsequenz.
Das Spiel, das eigentliche, ist existentiell; es beansprucht die ganze Hingebung und setzt sich Regeln,
die, obwohl sie aus freien Stücken angenommen sind, strikt befolgt sein wollen. Willkürlich scheinen sie
nur; sie gebären sich aus der inneren Triebkraft einer Form, der man den Weg zu Vollzug und Voll-
endung öffnet. Ludendo discimus: alles Erforschen ist ein Spiel der Neugier, methodisch im Gang des
Erfahrungszuwachses, Folgen zeitigend, für die der Spielende einzustehen hat im Entgelt für Zugewinn
an Erkenntnis. Diese aber ist der Wesenskern jeden Spiels und aller Kunst. Gerd Jansens plastisches
Schaffen und dessen zeichnerisches Umfeld sind geprägt von dieser anspruchsvollen und komplexen
Einschätzung des Spielerischen.
Das, was Gerd Jansen ein Feld nennt, den Komplex der Zusammenhänge oder der Wiederholungs-
vorgänge, hat er bereits 1986 in der Beschränkung aufs Zeichnen erkundet: auf bezeichnete Blätter
jeweils als Ansammlung von Zeichen der Bezogenheit, koordinatenhaft den Wechsel von Standort und
Winkel eintragend in ein immer dichter werdendes Geflecht, das im Grund so etwas ist wie die Spur
ablaufender Zeit.
Fallen im Feld, wie er es auffasst, das Prinzipielle, das Serielle und das Variable als Charaktere und
Möglichkeiten zusammen, so garantiert nicht nur die Fülle der Möglichkeiten Individualität, sondern
auch das Prinzip der Wiederholung und das jeweils Eigentümliche in der Erscheinung eines jeden Teils
von organischem Stoff. Alles Prinzip manifestiert sich im Individuellen; dem allgemeinen Baugesetz
prägt sich die Eigentümlichkeit dessen auf, was es nach außen hin ins Wachstum drängt und was sich,
anders als das innere Gerüst, im Reagieren auf den Umraum und seine Kräfte behaupten muss.
Josef Evers: Die Arbeit von Gerd Jansen leitet sich her aus einem übergeordneten Gesamt-
zusammenhang, dem die Vorstellung von periodischen Handlungsabläufen zugrunde liegt, die sich, auf
unterschiedlichste Art Spuren hinterlassend, innerhalb eines Zeitraums zu Strukturen organisieren. Der
minimalistische Ansatz erinnert, vor allem was die Konsequenz in der Folgeleistung einmal gesetzter
Handlungsvorgaben betrifft, an Künstler wie Carl Andre, Sol Lewitt oder Richard Long, die Vielfalt der
dabei entstandenen Strukturen vielleicht an Alexander Calder oder an Erwin Heerich, dessen Meister-
schüler Gerd Jansen war. Trotz solch planvollen Vorgehens galt es aber immer auch — und darin liegt
das Charakteristische seiner Arbeit — dem Zufall Raum zu geben, also zuzulassen, dass die Gleich-
mäßigkeit der Strukturen unterbrochen wird, was die Werke einzigartig, nie exakt wiederholbar macht.
5
Werner Heisenberg: So wie alles Erkennen und Bezeichnen, und damit die ganze Sprache auf
Wiederholung beruht, d. h. auf der Möglichkeit, unter verschiedenen Umständen etwas Gleiches zu
finden, so nimmt auch die wissenschaftliche Ordnung der Welt von der Wiederholung, von der
Gesetzmäßigkeit ihren Ausgang. Ganz allgemein basiert schon der mit der Sprache unternommene
Versuch, etwas Objektives darzustellen, auf der durch den Erfolg gerechtfertigten Voraussetzung, dass
eine feste Kette von Ursache und Wirkung vom „Objekt" zu uns und, wenn wir handeln, von uns zum
Objekt führe. Denn ohne diese feste Kausalkette könnte nicht von einer Wahrnehmung auf einen
bestimmten Vorgang geschlossen werden, und jeder Verständigung über das, was geschieht, wäre die
Grundlage entzogen.
Gerd Jansen: Mit dem Wort wider verbinden sich seit dem Mittelalter die Bedeutungen mehr auseinander,
weiter weg gegenüber, gegen, hin und ^urück, abermals. Die unterschiedliche Schreibweise wider — gegen und
wieder — abermals findet sich seit dem 17. Jahrhundert. Etwas wiederholen bedeutet so viel wie etwas noch
einmal sagen oder tun. Die Wiederholung ist ein elementarer Prozess in der Natur, der alles, was ist,
konstituiert. Somit ist auch die Wiederholbarkeit eines Experiments in der Wissenschaft Voraussetzung
Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu beweisen. Streng genommen gibt es keine Wiederholung in der
Wirklichkeit. Alles, was geschieht ist einmalig. So ist die Wiederholung an sich vom Prinzip der
Wiederholung zu unterscheiden. Das ganze Universum ist ein gewaltiger Wiederholungsprozess und
verändert sich ruhelos nach diesem Prinzip. In Bewegung findet sich Kleinstes und Größtes, für uns
sichtbar und unsichtbar und was sich bewegt, bewegt auch wieder anderes.
Wiederholung bringt Gleiches hervor, wie der stete Tropfen, der den Stein höhlt, kann aber auch zu
Abweichungen führen, wie der Tropfen, der das Fass überlaufen lässt.
Maschinen sind gewissermaßen Wiederholungs-Skulpturen. Der Mensch hat sie sich ausgedacht um
ganz präzise eine Aktion, die ihm etwa die Arbeit erleichtert, immer wieder ausführen zu können.
Tragischerweise verwendet er dieses Wissen auch zur Produktion von Kriegsgerät.
Seit der Mensch die Zeit in kleine, sich wiederholende Einheiten zerlegt hat, richtet sich das Prinzip der
Wiederholung auch zunehmend gegen ihn selbst in Form von Stress und infolge dessen zu Krank-
heiten aller Art. Sucht und Gleichgültigkeit beispielsweise, sind unkontrollierte Wiederholungsabläufe.
Die Bewertung von Wiederholungsabschnitten mit Nutzenrechnungen führte etwa zu Perversionen wie
Fließbandarbeit und Massentierhaltungen.
Das Prinzip der Wiederholung kann in den Himmel führen, aber ebenso in die Hölle. Es kann kreativ
eingesetzt werden, etwa beim Lernen, aber eben auch verdummend, wie es in der Werbung geschieht.
6
Wenn du träumend am Strand liegst pocht dein Herz, du atmest, die Wellen rollen unentwegt an deine
Füße, die Wolken ziehen über dich hinweg und alle Atome in dir und um dich herum, kreisen,
schwingen und lassen dich die Gesamtheit spüren, die du Gegenwart nennst. — Hier wird die
umfassende Dimension deutlich: durch alle Wiederholung hindurch, geht ein mächtiges Band, Alles
verbindend und zusammenhaltend. Das ist dieses Prinzip: es bewegt die Welt und schafft in ihr
nebeneinander und vermischend Entstehen und Vergehen, Gutes und Böses, allein es selbst bleibt
unverändert und ohne Zeit.
7
Da capo con anima e con spirito
Die Geburt eines Lebewesens gehört zu den schönsten Wiederholungen. Eine Pflanze wächst aus
einem Samen oder Kern langsam und stetig hervor. Ein Tier- oder Menschenbaby ist in der ersten Zeit
des Heranwachsens lange verborgen, um dann plötzlich als eigenständiges Wesen auf dieser Welt zu
sein. Dann setzen all die Wiederholungsvorgänge ein, die dieses noch hilflose Geschöpf in ein
selbstbestimmtes Leben führen.
Wundervoll ist es, wenn sich Kinder versenken können in ihr Tun und ihre Träume, wenn sie
fantasievoll ihre Welt deuten und gestalten. Wenn dann — wie leider allzu oft — auf dem Lebensweg
diese Gaben verloren gehen, durch Erziehung, Schule, gesellschaftliches Umfeld, bleibt zu hoffen, dass
irgendwann ein Ereignis eintreten möge, die Rückkehr in ein kreatives Leben auslösend.
In meinem Gesamtwerk sind es besonders die Arbeiten in diesem Buch, die meine wieder erlangte Lust
am spielerischen, frohen Erfinden und Gestalten dokumentieren. Mein künstlerischer Weg traf ja
damals gerade zusammen mit persönlichen Veränderungen: die ersten gemeinsamen Jahre mit Christine
und die Geburt von Tochter Nella. Das Prinzip der Wiederholung, das ja auch im kindlichen Spiel
große Bedeutung hat, findet hier beim in zwischen 32jährigen Künstler eine abwechslungsreiche,
durchaus muntere Würdigung.
Im Bereich der Musik spricht man vom Spielen eines Werkes. Eine lebendige Interpretation lässt auf
große Spielfreude der Musikerinnen schließen. Die Wiederholungen bestimmter Werkabschnitte —
vielleicht weil es so schön war? — wird mit einem da capo. . . angeordnet. — Aber auch in der bildenden
Kunst wird gespielt. Künstler wie Picasso, Miro, Calder, Klee und in neueren Zeiten Filliou, Tuttle,
Tinguely um einige zu nennen, überzeugten vor allem durch die Leichtigkeit, mit der sie ihren Werken
Seele und Geist mitgaben. Die DADA-Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ZERO-
Gruppe in den 50er und 60er Jahren und auch die FLUXUS-Idee sind eng verknüpft mit dem Ernst
und der Notwendigkeit des Spiels. Nicht zuletzt möchte ich an meine zwei Lehrer, die Bildhauer Tony
Cragg und Erwin Heerich erinnern. Tony erspielte sich von Anfang an mit großem Erfolg, ohne
Materialängste, die eigenwilligsten Gebilde und Erwin konnte, vor allem in seinen frühen Werken,
durch die Einbeziehung des Spielerischen leidvolle Kriegserfahrungen überwinden. Seit mehr als 100
Jahren, wird das Spielerische zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil, wenn es um das Überleben
der Menschheit geht. Es steht gegen alle Diskriminierung, Diktatur und Zerstörung unserer Erde.
Dieses Buch sei für meine Töchter Nella, Rita und Lena,
die mir die Leichtigkeit und den hohen Wert des Spiels lebendig erhalten haben.
Nella, Gerd und Lena, 2000
9
Rita wurde am 9. Juli 1995 geboren. Nella, damals 6 Jahre alt, malte und
schenkte ihr dieses Bild zur Geburt. Es zeigt Nella in der Mitte, Rita in der
Wiege und Kater Lukas. Die große Sonne berührt Glück bringend Nellas
Kopf und zeugt von der ebenso großen Freude. Umrahmt wird die Szene von
unserem Kirschbaum, den sie gleich zweimal, links und rechts malt. Sehr
schön ist in diesem Bild zu sehen, wie Nella aus einem natürlichen Antrieb
heraus, die Wiederholung der Kirschen als Ausdrucksmittel verwendet.
Rita war ein Engel und kehrte bereits am 4. Dezember 1995 wieder zu den
Engeln zurück. Ein schweres Atemleiden, nahm ihr alle Kräfte. Das Bild war
immer in ihrer Nähe und sie hat es dann auch mitgenommen in den Himmel.
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Marken-DADA, 1990 / 2015
Das Prinzip der Wiederholung
„Nun wenden Sie sie so, dass sie die Blumen und Bücher sehen können!"
Kaum war das geschehen, als die Kinder verstummten und auf die Rosen und bunt leuchtenden
Buchseiten loszukrabbeln begannen. Aus den Reihen der Kinder ertönten kleine aufgeregte Schreie,
freudiges Lallen und Zwitschern.
Der Direktor rieb sich die Hände. „Großartig!" sagte er. „Fast wie auf Bestellung!"
Er wartete, bis alle seelenvergnügt beschäftigt waren. „Und nun passen Sie auf!" sagte er und gab mit
erhobener Hand ein Zeichen.
Die Oberpflegerin, die am anderen Ende des Saals vor einem Schaltbrett stand, drückte einen kleinen
Hebel nieder. Ein heftiger Knall, gellendes Sirenengeheul, rasendes Schrillen von Alarmklingeln.
Die Kinder erschraken und schrien auf, die Gesichtchen von Entsetzen verzerrt.
„Und jetzt", rief der Direktor, „werden wir die Lektion mittels eines elektrischen Schlägelchens einbleuen."
Er winkte abermals, die Oberpflegerin drückte einen zweiten Hebel nieder. Das Plärren der Kinder hörte
sich plötzlich anders an. Verzweiflung, fast Wahnsinn klang aus diesen durchdringenden Schreikrämpfen.
Ihre Körperchen wanden und streiften sich, ihre Glieder zuckten wie von unsichtbaren Drähten gezogen.
„Wir können durch diesen ganzen Streifen des Fußbodens elektrischen Strom schicken", brüllte der
Direktor erklärend.
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„Beachten Sie das, meine Herren", sagte der Direktor triumphierend, „beachten sie das wohl!"
Bücher und Getöse, Blumen und elektrische Schläge — schon im kindlichen Geist waren diese Begtiffspaare nun
zwanghaft: verknüpft, und nach zweihundert Wiederholungen dieser oder ähnlicher Lektionen waren sie untrennbar. Was
der Mensch zusammenfügt, das kann Natur nicht scheiden.
„So wachsen sie mit einem instinktiven Hass gegen Bücher und Blumen auf. Wir normen ihnen unausrottbare Reflexe an.
Ihr ganzes Leben lang sind sie gegen Druckerschwärze und Wiesengrün gefeit."
Ein Student hob zwei Finger: er sehe ja ein, dass es nicht gehe, Angehörige der unteren Kasten ihre der Allgemeinheit
gehörende Zeit mit Büchern vergeuden zu lassen, ganz abgesehen von der Gefahr, dass sie etwas läsen, was
unerwünschterweise einen ihrer angenormten Reflexe abbiegen könnte, . . . nein, er verstehe das mit den Blumen nicht.
Warum nehme man sich die Mühe, den Deltas die Freude an Blumen psychologisch unmöglich zu machen?
Geduldig erklärte es der BUND. Dass man die Kinder beim bloßen Anblick einer Rose in Schreikrämpfe versetze,
entsprang einer höchst ökonomischen Voraussicht. Vor gar nicht langer Zeit, etwa hundert Jahren, hatte man Gammas,
Deltas, sogar Epsilons die liebe zu Blumen und überhaupt Freude an der Natur angenormt, um ihnen den Hang, bei
jeder Gelegenheit ins Grüne zu pilgern, einzuimpfen und sie so zu Benutzern der Verkehrsmittel zu machen.
„Und benützten sie sie?" fragte der Student.
„Jawohl, ausgiebig", antwortete der BUND. „Aber sonst nichts." Primeln und Landschaft, dozierte er, hätten einen
großen Fehler: sie seien gratis. liebe zur Natur halte keine Fabrik beschäftigt. Man hatte daher beschlossen, die liebe zur
Natur abzuschaffen, wenigstens unter den niederen Kasten, nicht aber den Hang, Verkehrsmittel zu benützen.
„Wir normen den Massen den Hass gegen landschaftliche Schönheiten an", schloss der Direktor, „doch zugleich auch die
liebe zum Freiluftsport. Dabei achten wir darauf, dass jeder Sport den Gebrauch besonderer und komplizierter Geräte
nötig mache. Sie benützen also nicht nur die Verkehrsmittel, sondern verbrauchen auch Fabrikate. Und darum diese
elektrischen Schläge."
Aldous Huxley, Schöne neue Welt, 1953
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Etüden und andere Handgreiflichkeiten
Vom musikalischen Hintergrund der Etüde ausgehend, sie als eine Art Studie zu einer bestimmten
spieltechnischen Fragestellung zu betrachten, verbunden mit quasi experimentellen Übungen, kann ich
diese Charakterisierung auch auf einen Großteil meiner A4-Zeichnungen seit der Zeit in Paris (1986)
beziehen. Damals wählte ich für jeden Tag ein eigenes Zeichenprinzip und wiederholte dieses — und
nur dieses systematisch in mehreren Zeichnungen. Im Folgejahr probierte ich dieses serielle Vorgehen
in Düsseldorf auf größeren Papierformaten. Als ich dann 1988 nach Basel wechselte und mit Christine
zwei Zimmer in der Falknerstraße bezog, befand ich mich erneut in einer Anfangs Situation. Atelier war
ein kleiner Küchentisch vom Sperrmüll, in dessen einziger Schublade alle meine Arbeitsmittel
untergebracht waren. Die Auswahl der auf den folgenden Seiten abgebildeten Zeichnungen und
Collagen waren die ersten hier erstellten Arbeitsproben und gewissermaßen wie eine Fingerübung:
Altes wieder aufnehmend, Neues ausprobierend, Einzelnes variierend. Tatsächlich gingen die Versuche
weit auseinander. Es fehlte ein Zentrum, der lange Atem für eine homogene Arbeitsgruppe. Allerdings
konnte ich mich auf das Prinzip der Wiederholung verlassen. In unsicheren Etüden und anderen
Handgreiflichkeiten, wie in Mischungen von Zeichnung und Collage wurde es in dieser Zeit
augenscheinlich. Ich erkannte zunehmend die Bedeutung der Linie, die unsichtbar alle
Wiederholungsvorgänge verbindet, und welche in diesem Buch noch ausführlich dargestellt wird.
Besonders mit Frederic Chopin wurde die Etüde salonfähig. Die technische Idee, wurde mit
musikalischem Ausdruck aufgeladen. Liszt, Rachmaninov und Skriabin setzten diese Entwicklung fort.
Im Klavierunterricht lernte ich einige von den achttaktigen Übungen op.821 von Carl Czerny und war
sehr angetan von diesen formal sehr reduzierten, doch durchaus reizvollen Stückchen. Das Heft
umfasst 160 Übungen und es ist wie ein Skizzenbuch voller Ideen, die nur darauf warten in größere
Formen eingebunden zu werden.
Etwa so verhielt es sich auch mit den hier folgenden Zeichnungen und Collagen. Tatsächlich führten
sie zu einer minimalisierten Form der Skulptur in Gestalt von beklebten Kartons und vor allem zur
Installation. Es fanden sich farbige Papiere in Collagen und erstmals auch farbige Ausschnitte aus
Prospekten. Ein unbeschwertes Beobachten und Auffassen der alltäglichsten Dinge, das Ausprobieren
mit Stift und Schere, das Kleben und Falten, Lochen und Heften musste zwangsläufig zu räumlichen
Etüden herausfordern. Die Improvisation, ebenfalls als musikalische Form bekannt, war bei allem Tun
eine wesentliche Aktionsweise. Etüdenhaftes lässt sich hier gut einbauen und zu freiem, leichtem
Ausdruck führen. Das Prinzip der Wiederholung sorgt gewissermaßen für die rhythmische Basis. Die
folgenden Kapitel werden darüber Auskunft geben.
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Gold liegt auf der Straße und Ideen glitzern in den Bäumen
Gold ist ein chemisches Element. Aussehen, Verarbeitbarkeit und das seltene Vorkommen machte es
zu etwas Besonderem. Reichtum und Schönheit lässt sich ebenso damit verbinden, wie Missgunst und
Mord. Das Gold selbst ist schon der (freilich menschengemachte) Wert. Dann sind da noch all die
anderen Stoffe aus denen in großen Mengen Materialien erzeugt und die wiederum zu Produkten
weiterverarbeitet werden, denen man meist nur geringen Material- und Herstellungswert beimisst.
Kartons, Papiere, Prospekte, Schnüre und dergleichen, finden sich oft nach nur kurzem Gebrauch am
Straßenrand zur Abholung und Neuverwertung. — Es waren keine wertvollen Materialien die ich damals
von Spaziergängen mit nach Hause brachte, oder die im Haushalt abfielen. Aber durch den Einfluss
von Ideen entstanden damit Ordnungen, denen man zumindest diesen Wert zuerkennen muss.
Seit Kindertagen habe ich gerne Wolken angeschaut, wie sie sich bewegend veränderten, und wie sie
sich mit den Zweigen und Blättern der Baumkronen vermischten. Wenn sich auch diese leicht
bewegten, war es ein großartiges Schauspiel, dessen Plastizität mich ungeheuer beeindruckte und
bewirkte, dass mein Denken immer räumlichen Vorstellungen folgte und alles Bildhafte immer auch die
Bewegung mit darstellte, die es hervorgebracht hatte. Die Kombination von Zeichnung und Collage,
dass also die gezeichnete Linie wieder zum Vorschein holt was die Collage zuvor verdeckt hatte, ist ein
wesentliches Merkmal vieler Arbeiten jener Zeit und zeugt von dem Bemühen, auch das Prozesshafte
mit zu erfassen. Faszinierend auch, dass sich diesem Blick nach oben eigentlich immer Gleiches bot.
Die Konstellationen änderten freilich unaufhörlich, die Akzente verschoben sich und die Dramatik, die
das Licht inszenierte, Himmel, Wolken, Zweige und Blätter vermischend, wirkte auch auf den Fluss der
Gedanken befreiend, fast so, als würden sie durcheinander purzeln und durch Zufall neu verbunden
werden. Diese Empfindungen sind tief in mein Temperament hinein geschrieben, so dass ich sie jetzt
auch gleichsam zurück projizieren kann auf die Dinge, die ich tun möchte und die Mittel die zur
Verfügung stehen. Die Quelle und der Maßstab für eine Idee finden sich hier.
Eines Tages brachte ich zwei große, in den Abmessungen relativ ähnliche Kartons mit nach Hause und
bearbeitete sie in meiner Weise. Unter dem Arm geklemmt brachte ich sie kurz darauf mit wenig
Hoffnung in die Kunsthalle Basel zur Jury für die Jahresausstellung. Die beiden Kartons wurden nicht
nur ausgestellt (Seite 223), sondern ich bekam dafür den Reisepreis nach Spanien und zusätzlich 3000
SFr. für den roten Karton. Eine lustige Geschichte, die die Überschrift etwas erhellen möge.
Und auch damals schaute ich nach oben und achtete auf die Verteilung der Blätter an den Zweigen,
nach links, rechts, nach vorn und nach hinten. Ich sah bei hellem Sonnenlicht, wie die hinteren ihren
Schatten auf die vorderen abbildeten. So gibt es Momente, in denen sich uns Schönheit zeigt, uns
ergreift und zu Ideen bewegt.
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Rosenkranz und Tannenbaum - Installationen
Handwerkliche Abläufe bei der Produktion von einzelnen Werken und auch die Gruppierung dieser Werke, ob
Skulptur oder Bild, zu Ausstellungen oder Ausstellungsbeiträgen, ja auch in größeren Dimensionen für den
Außenbereich konzipierte Arbeiten, waren bis 1988 das hauptsächliche und der Tradition verbundene Terrain
der Beschäftigung. Durch die sehr einfachen und beengten Wohn- und Finanzverhältnisse in Basel entwickelte
ich aber ab der zweiten Jahreshälfte 1988 ein improvisiertes Vokabular aus alltäglichen Materialien. Vor allem
die Schnur, die ja bereits bei seriellen Wicklungen um Holzstücke im Vorjahr Verwendung gefunden hatte und
nicht zuletzt auf die serielle Arbeitsweise seit 1986 zurückging, erwies sich nun mehr und mehr als Möglichkeit,
raumgreifende Ideen einfach, schnell und kostengünstig auszuführen. Zunächst allerdings verliefen die Schnüre
noch in der Wandebene. Erst in Verbindung mit übergehängten A4-Papieren zeigten sich Wege, serielle
Immerhin ließen sich über eine gleichbleibende Verspannung verschiedene „Bilder" variieren, später ein
wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Umgekehrt funktionierte die Beklebung des Landschaftsverbandes (Seite 294):
hier wurde weniger eine Struktur erzeugt, sondern eine vorhandene durch große Aufkleber verdeutlicht. In
Landshut zeigten dann zwei Installationen (Seite 300) in welch einfacher Weise geplant und ausgeführt werden
konnte und ließen sicher auch die vielen Möglichkeiten dieser Idee erkennen. Es folgte eine Reihe von
installativen Ausstellungen, die die Ausstellungpraxis und deren Fragwürdigkeit an sich thematisierten. Der
runde Raum (Seite 324) bringt noch eine weitere Variante mit A4-Papieren und ab Seite 330 sind noch einige
einzelne, der Fläche verhaftete Installationen zu sehen, die ich allerdings für dieses Buch aus dem Skizzenheft
rekonstruiert habe, wie auch die hier auf dem Foto abgebildete Arbeit mit Schnur und Nägelchen.
Raumstrukturen, auch in
Verbindung mit Farbigkeit, zu
erzeugen. Die Brühler
Ausstellung (Seite 284)
dokumentierte noch die Nähe
zum flächig Bildhaften. In der
Primzahlenausstellung (Seite
286) waren der alten Arbeits-
weise nahestehende Ansätze
zu sehen, wobei der Schnur-
arbeit eine Sonderstellung
zukam. Auch die Vitrinen
(Seite 290) wirkten noch wie
räumliche Bilder, denn der
Präsentationsraum war relativ
klein und nicht begehbar.
282
Die Installation als künstlerisches Ausdrucksmittel wurde also spätestens ab 1988 zu einem festen
Bestandteil meines Repertoires und ich habe mich bei dieser Vorgehensweise immer besonders wohl
gefühlt. Das lag sicher einerseits daran, dass ich in den Vorjahren stets mit erheblichem Krafteinsatz
gearbeitet hatte und so endlich eine größere Leichtigkeit und Wendigkeit im Tun spürte und
andererseits empfand ich die Entlastung von materiellen Investitionen als befreiend, selbst bei solchen
Großprojekten wie die Landeshaus-Beklebung in Köln. Es war beruhigend Möglichkeiten zu sehen, mit
einfachen Strategien Ideen anschaulich
machen zu können, von den Kartei-
karten (Seite 308), die, nur gekauft und
auf den Tisch gelegt wurden, bis zur
Fahrt mit der Fensterputzgondel um das
eben schon erwähnte Landeshaus (Foto).
1988 war auch das Jahr der persönlichen
Weichenstellung. Ich heiratete Christine
und zog nach Basel, unterstützt durch
ein Stipendium des DAAD. Ebenso
realisierte ich die Ausstellung im Haus
Koekkoek und eine Aluminiumskulptur
— beide in Kleve. Organisatorisch, hand-
werklich, in der zügigen Umsetzung einer
Idee, im Abschätzen von Dimensionen
und Materialien, war ich nun durch
jahrelange Schulung sicher. Auf dieser
festen Grundlage konnte der Rückzug
auf ein minimalisiertes Arbeiten erfolgen.
Interessant sei der Hinweis, dass mir
schon als kleiner Junge das jährliche
Aufbauen des Tannenbaums übertragen
wurde und auch das Schmücken des
elterlichen Geschäfts zur Martinszeit mit
Laternen an durch den Raum gespannten
Schnüren. Nicht zuletzt sei an den Rosenkranz erinnert, einer im Grunde seriellen Struktur, die durch
die damals enge Verbundenheit mit den kirchlichen Abläufen, wohl stärker auf mein Denken gewirkt
hat, als ich mir vorzustellen vermag. So scheinen mir die seriellen Installationen dieser Jahre als eine
schon früh eingeübte Praxis.
283
12. März - 9. April 1989 | Brühler Kunstverein, Villa Minima
1 m : A4
In dieser Ausstellung waren auf zwei Etagen insgesamt 12 installative Wandarbeiten zu sehen, die die
zwei bekannten Größen 1 Meter und das A4-Papierformat in ganz unterschiedlicher Weise einander
zuordneten. Zunächst wurden in den Räumen mit Grafitstift Quadrate von 1 x 1 m direkt auf die
Wand gezeichnet. - Das Foto unten zeigt auch die Möglichkeit einer mehrfachen Anordnung. - Für
diese Ausstellung fanden A4-Papiere Verwendung die eigens mit ,DIN A4 C seriell bedruckt waren. Jede
Arbeit zeigte ein spezielles Aufeinandertreffen der Größen, reglementiert durch die eigene Maßlichkeit.
Weitere Fotos der Ausstellung waren qualitativ zu schlecht für eine Abbildung, darum auf der nächsten
Seite vier Beispiele lediglich als Entwurf.
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3. - 9. Juli 1989 | Basel, Falknerstrasse 5, Küchenausstellung
Primzahlen
In der ersten Jahreshälfte 1989 waren es zwei Begebenheiten, die mich zur Arbeit mit Primzahlen
führten: einerseits beschäftige ich mich mit den Kombinationsmöglichkeiten einfacher plastischer
Elemente und den damit verbundenen Zahlenreihen und andererseits versuchte ich in einer anderen
Arbeit die Buchstaben des Alphabets in verschiedene Ordnungen zu bringen. Da kamen recht
unerwartet die Primzahlen ins Visier und bereits nach wenigen Versuchen beschloss ich, diese Idee
anhand von sechs verschiedenen Arbeitsproben in der eigenen Küche zu präsentieren. Besonders die
Themen der Schnurvariante (Seite 287 rechts), der Grafikvariante (Seite 289) und der Kartonskulpturen
(Seite 288) sollten etwa 6 Jahre später intensiver bearbeitet werden. Doch zu diesem Zeitpunkt war die
Arbeit mit Primzahlen lediglich eine kurze Episode.
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Kartonrelief Installation: Schnur und kleine Nägel
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Fotokopien, jeweils 20 x 20 cm
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4. August 1989 - 29. März 1990 | Basel, Unterführung Bahnhof SBB
4 Vitrinen-Ausstellungen
Die vier Vitrinen- Aus Stellungen fanden in einer angemieteten Vitrine in der damaligen Unterführung
des Vorplatzes Bahnhof SBB zu den Gleisen statt. Eine Präsentation dauerte jeweils 2 Monate. Über
eine unverändert bleibende Schnurverspannung wurden jeweils gleichartig gefaltete A4-Papiere
gehängt. Mit einfachen Mitteln gelang an ungewohnter Stelle eine prägnante Optik, der sich Passanten
rund um die Uhr nicht entziehen konnten. Die Verbindung und Umgestaltung einer alltäglichen
Situation mit einer künstlerischen Idee zeigte sich als gute Übung mit vielen Möglichkeiten und sollte
dann auch in späteren Jahren zu größeren Projekten führen.
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1. - 30. November 1989 | Köln, Landschaftsverband Rheinland
Landeshaus
Im Sommer 1989 saß ich mit dem Kunstvermittler Josef Evers in Klein-Basel auf den Treppen am
Rheinufer direkt dem Basler Münster gegenüber. Wir überlegten mit welch einfachen Mitteln wir in
Köln parallel zur ART COLOGNE eine größere Aktion bzw. Installation bewerkstelligen könnten.
Das Vorhaben schien nahezu aussichtslos, bis mir einige Tage später beim Anblick meiner mit runden
Etiketten beklebten und mit roten Reißnadeln besteckten Kartons die Idee der Fenster-Beklebung von
streng seriell konzipierten Gebäuden kam. Das BIZ-Gebäude (hier auf der Zeichnung) am Basler
Bahnhof war eine der ersten Ideen — für die ich damals aber nicht genug Fürsprecher fand. Erstaunlich
schnell, über wenige Kontaktstellen, bekam ich die Genehmigung für den Landschaftsverband in Köln,
der nur einen Steinwurf weit von der ART COLOGNE entfernt lag. Die Ausführung ließ sich zeitlich
parallel zur Kunstmesse legen, so dass ich mit ein paar roten Aufklebern an den Außenseiten, sowie
auch an den vier Seiten des Innenhofes, mehr Volumen umspannen konnte, als die Kunstmesse.
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5. - 30. April 1990 | Kunstkreis Landshut
Rote und Blaue Rauminstallation
Gleich zwei Installationen richtete ich in Landshut ein. Die beiden Räume waren mir nur über die
jeweiligen Grundrisszeichnungen bekannt. Da auch hier wieder alles mit einfachsten Mitteln gehen
sollte / musste, entschied ich mich für den mitderweile vertrauten Schnur-A4-Installationstyp. Den
Räumen entsprechend, richtete ich die Verspannung ein und wählte für den oberen Raum rote A4-
Papiere der Länge nach gefaltet, für den unteren Raum blaue A4-Papiere quer gefaltet. So konnte ich
die Ausstellungsmaterialien nicht nur bequem zu Hause vorbereiten und im normalen Reisegepäck von
Basel aus transportieren, sondern auch innerhalb eines Tages installieren. Die Ausstellung konnte nach
Beendigung aufgelöst und die wenigen Materialien entsorgt oder wieder verwendet werden.
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26. - 29. April 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
Weiss, Fluoreszierend, Matt Gummiert
Anfang 1990 beschäftigte ich mich intensiver mit den gängigen Aus Stellungspraktiken. Ich war
überzeugt, dass die Arbeiten mit einfachen Mitteln wie Schnüre, A4-Papiere oder Aufkleber vollwertige
Arbeiten sind, allein, es fehlte die Einsicht auf Seiten der Rezipienten. So kam ich auf die Idee, nicht
nur eine Ausstellung zu planen, mit Plakat und Katalog, sondern zugleich auch den Ausstellungsraum
und die Besucher. Das KUNSTMUSEUM zeigt eine Ausstellung von neun, damals gängigen
Briefmarken, deren Motive an Künstler der klassischen Moderne erinnerten, etwa Delaunay, Picasso,
Braque, Leger. Der Katalog enthielt ein Vorwort und die originalen Texte zu den Marken. Das Plakat
in Originalgröße war gleichzeitig die Einladungskarte. Von diesem Museum fertigte ich 15 Exemplare
und schickte sie an mir bekannte Museumsdirektoren mit dem Hinweis: Da Sie nicht zur Ausstellung
kommen können, kommt die Ausstellung zu Ihnen.
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24. - 27. Mai 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
100 Karteikarten
Ein serielles Produkt, nämlich 100 Karteikarten, noch in Folie verpackt, stellte die wohl einfachste
Ausstellung, die ich je gemacht habe. Und das Besondere, die Einladungskarte zu dieser Schau, die
auch Ideengeber war, wurde gleich beim Kauf der Karten mitgeliefert, nämlich die hier auf dem Foto
sichtbare Deckkarte mit Artikelbeschreibung und Preis. Mit einfachsten Möglichkeiten auf komplexe
Zusammenhänge anzuspielen, war eine Grundintension, eine große Herausforderung und die einzige
Chance in dieser Zeit, in der keine finanzielle Substanz für Projekte zur Verfügung stand. Die
Einladung zu den Küchenausstellungen schickte ich nur wenigen Bekannten und Freunden. Die
Ausstellungen waren vor allem Experimente zur eigenen Orientierung.
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28. Juni - 1. Juli 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
Vergrößerung einer getöteten Fliege
Eins vorweg: die Fliege samt Bein habe ich auf der Fensterbank gefunden und nicht für diese Arbeit
getötet. Der provokant formulierte Titel war also im Prinzip ebenso eine Vergrößerung, oder sagen wir
Übertreibung des eigentlichen Sachverhalts. Durch wiederholtes Fotokopieren wurden aus einem
Motiv 2, dann 4, 8, 16, 32, 64. Wie in der Wirklichkeit, so löste sich die Fliege auf in einzelne abstrakte
Bildeinheiten. Die Papierränder, die zwangsläufig beim Fotokopieren entstanden, machten diese
Zerlegung deutlich. Es entstand ein neues Bild, welches ebenso dalag, wie die Fliege auf der
Fensterbank. Noch war die Gesamtform zu erkennen, doch in beiden Fällen hätte ein Windstoß sie
verweht.
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26. - 29. Juli 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
Schlanke Fläche
Wie mit Farbe umgehen, wenn der Farbsinn nur wenig ausgeprägt ist? Die Lösung dafür ist die
Verwendung von farbigen Ausschnitten aus Illustrierten und Prospekten, die überall ausliegen oder im
Briefkasten landen. Dass dabei auch Modeblätter (meist für Frauen) in Sicht geraten, liegt sehr nahe
und das Posieren, sich zur Schau stellen, kommt der Idee, diese „Papierfrauen" zu verwenden, nur
entgegen. Sie bieten die Mode an, damit auch die Farbigkeit und ein Lebensgefühl. So begann ich diese
Damen auszuschneiden und der Reihe nach an die Wand zu pinnen. Doch irgendwie fehlte die
Betonung dieses seriellen Vorgangs. Die kleinen WC -Papierrohre waren an dieser Stelle eine perfekte
Aufhängung. Zum einen konnte das Raster präzise aufgezogen werden, zum anderen erhielten die
fragilen Papierfrauen darin Stabilität ohne zusätzliches Befestigungsmittel. Der Titel war eine Ableitung
des Begriffs der „schlanken Linie" die hier über die Wand verteilt zur Fläche wurde.
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30. August - 2. September 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
Röntgenaufnahmen einer kubischen Papierform
Das Falten von kleinen Schächtelchen hat mir und Christine damals Spaß gemacht und konnte
manchmal sogar recht zweckmäßig als Verpackung für kleine Geschenke eingesetzt werden. Einmal
packte es Christine so sehr, dass sie 88 Schächtelchen immer größer werdend ineinander schachtelte.
Nun, welches Bild würde sich uns zeigen, wenn wir hier aus verschiedenen Perspektiven hindurch
schauen könnten? Röntgenaufnahmen legten die Struktur dieser dicht angelegten Papierform offen. In
der damaligen Ausstellung zeigte ich Aufnahmen aus vier verschiedenen Richtungen, allerdings als
Durchsichtnegative. Hier im Buch sind drei dieser Aufnahmen der besseren Lesbarkeit als Positiv
abgebildet. Dank sei meinem Vetter Franz Peters, der die Aufnahmen gemacht hatte.
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27. - 30. September 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
POTT NR. 87/925000
Im Sommer 1990 fand ich auf dem Dachboden, zwei Stockwerke über unserer Mietwohnung in der
Falknerstraße, einen Stapel sehr alter Magazine — der Name ist mir leider entfallen. Beim Durchblättern
fiel mir die Besteck- Anzeige POTT NR. 87/925000 ins Auge. Sofort assoziierte ich diese als eine sehr
schöne Einladungskarte. Da ich das Besteck selber nicht hatte, konnte ich es auch nicht ausstellen,
wohl aber eine ganze Serie von etwas vergrößerten, auf festes Papier kopierten und anschließend
ausgeschnittenen Gabeln, Messern und Löffeln. Zwischenzeitlich hatten wir am Straßenrand auch
unseren, nun etwas größeren Küchentisch gefunden, in dessen rechter Schublade die Ausstellung
sattfinden konnte. Aus schwarzem Karton fertigte ich noch eine passende Halterung für das Besteck,
um dann zur Ausstellung einzuladen.
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20. Oktober - 11. November 1990 | Essen, Galerie Stelzner & Rading
Grüne Rauminstallation
Wie schon in Landshut, so organisierte ich auch auf Einladung hin die Installation für den Galerieraum
von Stelzner & Rading. Auch hier kannte ich nur den Grundriss der Räumlichkeit. Entscheidend für
die Idee, war eine zentral stehende Säule. An den gegenüberliegenden Wänden wählte ich eine
gegenläufige Befestigung der Schnüre, so dass im Bereich der Säule von oben gesehen, die scheinbaren
Schnittpunkte der Schnüre genau eine Senkrechte bildeten — im Prinzip also insgesamt eine in sich
gedrehte Fläche entstand. Mit der Vorstellung eines sich um eine Säule rankende Gewächs, wählte ich
ein hier grünes A4-Papier.
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25. - 28. Oktober 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
Runder Raum
Eine weitere, allerdings etwas diffizilere Variante der Arbeit mit A4-Papieren war die Hängung an
senkrechten Schnüren mittels kleiner Drahtbügel. Dazu wurden die Papiere vorher entsprechend
gelocht und an den kurzen Seiten als Zylinder verklebt. In diesem Fall wurde außerdem durch die Wahl
von roten Papieren für den Innenkreis die Plastizität betont. Im Prinzip also auch sehr einfach,
vorausgesetzt, es wird sehr genau gearbeitet. Es entstand ein Gebilde von einer eigentümlichen
Präsenz, die durch den Wettstreit von Volumen, Leichtigkeit und zarten Bewegungen beeindruckt.
Interessant ist aber letztlich auch hier, wie unscheinbare Module (Papier, Schnur, Draht) als Vokabular
verwendet werden können, um so, durch sich wiederholende, immer gleiche Arbeitsvorgänge,
komplexe Strukturen hervor zu bringen.
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29. November - 2. Dezember 1990 | Basel, Falknerstraße 5, Küchenausstellung
Langsam drehendes Samentütchen & (N)Amen
Einen vorläufigen Abschluss dieser einfachen und experimentellen Ausstellungen, bildete diese
Doppelausstellung. Da wir auf dem Fenstersims einen Mini-Kräutergarten hatten, lagen auch immer
wieder einige Samentütchen auf dem Küchentisch. Eines Tages bemerkte ich beim Drehen eines
Tütchens, wie die Samen je nach Seite schneller und weniger schnell von einem Ende zum anderen
rieselten. So entstand bei gleichmäßigem Drehen ein entsprechender Rhythmus, realisiert in dieser
Ausstellung mit einem hinter dem Tütchen montierten, langsam drehenden Motor. Auf dem Tisch,
Zeitungspapier als Tischdecke und für jeden Buchstaben des Alphabets eine Schachtel mit einem
aufgedruckten Begriff und dem dazu gehörigen Bild. Die Ausstellung fand abends statt und die
Glühlampe über dem Tisch warf nur einen Strahl nach unten auf den Tisch und einen nach rechts zum
Samentütchen. Eine etwas gespenstige Inszenierung, die kommenden Monate andeutend: Lesen,
Studieren, Meditieren — kurz: es galt noch einmal von vorn zu beginnen.
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Seite 330 bis 343 rekonstruierte Installationen mit Materialien aus der damaligen Zeit:
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1990 | Kunstmuseum Basel - Torfrauen
Eine Installation, die zwar vorbereitet war, aber dann leider doch nicht Genehmigung fand, war die der
„Torfrauen". An das Gitter des Eingangstores zum Basler Kunstmuseum sollten 72 aus Modekatalogen
ausgeschnittene Frauen angebracht werden. Die Frauen waren zur Stabilisierung auf Karton
aufgezogen und hinten für das Gitter mit einer Aufsteckmöglichkeit versehen — ebenfalls aus Karton.
Die Installation hätte so sehr einfach und in wenigen Minuten auf- und wieder abgebaut werden
können. Die Katalogfrauen, hier zu Torfrauen befördert, hätten durch ihre allzu deutlich zur Schau
gestellte Weltlichkeit klar gemacht, dass auch im Museum ein zur Schau stellen eigentlich gar nicht viel
anders zugeht — in gewisser Weise vielleicht sogar noch aufdringlicher.
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Lovestory — eine Linie in Aufruhr
Wie sich Ideen bilden und wie sie sich Ausdruck verschaffen, ist immer ein mehr oder weniger großes
Rätsel. Manchmal lassen sich Abschnitte erkennen, die in gewisser Logik aufeinander folgen. Dann
wieder scheinen die Werke vollkommen neuartig und unabhängig von der Vorgeschichte und nur
durch einen Bruch mit der alten Strategie möglich geworden zu sein. Wie auch immer die Form
erscheint, sie wurzelt im Temperament des Künstlers, in der angelegten Intention, die es ein Leben lang
zu erforschen gilt, die unverändert bleibt, sofern das äußere Leben nicht schwerwiegende Einflüsse
bereit hält.
Als Schüler habe ich mit großem Vergnügen mit dem Zirkel entlang einer wie auch immer
verlaufenden Linie Kreis um Kreis gezeichnet, der Linie folgend, die Nadel regelmäßig einstechend.
Viel später dann, in Paris, entdeckte ich diese serielle Arbeitsweise aufs Neue, diesmal allerdings war die
Zeit die Linie, der entlang immer gleiche Zeichenvorgänge stattfanden. Dann, nun allerdings nur wenig
später, folgte ein Sprung ins Plastische: mit einer Schnur umwickelte ich Holzstücke, die Linie selbst
trat in Erscheinung, eine eigene Präsenz fordernd. Die Linie als Hilfslinie, als Zeitverlauf, plastische
Struktur und letztlich auch als Zahlenreihe — vielleicht ihre schönste Existenzform — das alles war
eigentlich schon getestet. Doch um die Linie ausschließlich als Zahlenreihe zu Grunde zu legen,
brauchte es noch etwas Abstand von all diesen voran gegangenen Bemühungen. So entstanden diese
experimentellen Zeichnungen und auch die parallel stattfindenden Tages-, Wochen- und
Monatszeichnungen (ab Seite 474). Es brauchte diese zeitliche Distanz in der die Linie sich „Gewicht"
verschaffen konnte und ich ihr stundenlang folgte, so dass ich mich in sie verliebte und hinter der
schwarzen Tusche ihre wahre Natur erkannte, die Reihe der Natürlichen Zahlen.
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Zwischen Düsseldorf und Basel — Erinnerungen I
Im Jahr 1987 war ich hauptsächlich mit der Auswertung
der im Jahr zuvor in Paris gewonnenen Erkenntnisse
beschäftigt. Obwohl ich die Wohnung in der
Düsseldorfer Platanenstraße bereits 1985 renoviert und
bezogen hatte, sollten lediglich die Monate des Jahres
1987 die Zeit sein, in der ich ausdauernd in den Räumen
arbeiten konnte. Es entstanden damals größere
Zeichnungen und Skulpturen, die dann im Folgejahr
1988 im Haus Koekkoek in Kleve in einer
umfangreichen Ausstellung gezeigt wurden. In diesem
Jahr war ich zudem ständig auf Reisen zwischen meiner
Heimat am Niederrhein, Düsseldorf und Basel. Viele
Ideen, z. B. für einige Außenprojekte (Skulptur Kleve,
Brunnen Lonza in Weil am Rhein, Mercedes-Skulptur)
entwickelte ich auf diesen Reisen und sah mich in Folge
dessen mehrheitlich als Planer, denn als praktisch
arbeitender Künstler. Die Werkstätten der Düsseldorfer
Akademie, die mir immer offen gestanden hatten, nutzte
ich nun nicht mehr und in den kurzen Aufenthalten in
Düsseldorf entstanden wieder kleine Zeichnungen und
ebenfalls kleine experimentelle Karton-/Papiermodelle -
zum Teil bereits mit Collage und Nähfaden. Nach
meiner Heirat Mitte des Jahres lebte ich hauptsächlich in
Basel (hier hatte Christine im Stadtzentrum im vierten Obergeschoss eine kleine Wohnung neben der
Hauptpost in der Falknerstraße 5 gefunden — das Foto zeigt das Haus mit einem Test für die „Rote Punkte
Beklebung" in Köln). 1989 war ich dann wochenweise auch wieder in meiner Düsseldorfer Wohnung, aber die
Zeit der größeren Zeichnungen und Skulpturen aus Materialien wie Holz, Stahl und Aluminium war vorerst
vorbei und ich praktizierte mehr und mehr eine provisorische Arbeitsweise, aus der sich dann bald die
Installation als eine für mich neue und recht angenehme Strategie aufzeigte.
In dieser „Schnittmenge" zwischen Düsseldorf und Basel, zwischen dem bisher geführten Leben, den neuen
Möglichkeiten, aber auch Einschränkungen und der jungen Familiensituation, etablierte sich zunehmend das
Prinzip der Wiederholung als verlässlicher Begleiter und gewährte den Zusammenhalt der Ideen. Nach der
Auflösung der Düsseldorfer Wohnung lebte ich ab 1990 ausschließlich in Basel, zunächst abgesichert durch ein
Stipendium des DAAD und ersten Aufträgen.
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Kaum Aufwand, viel Wirkung. Aus den aufgeklebten roten Punkten wurden bunte Laien-Bilder.
Fenster-Kunst mit [
roten Punkten
Künstler Gerd künstlerisch um-
Jansen kann 2uge stalten. Sie
sich freuen, nahmen Pappe,
Seine Aktion ,.ro- Schere und Tesa
ter Punkt" am lU r Hand und er-
Haus des Land- weckten die
schaftsverbands Punkte zu neuem
Rheinland (LVR) Leben: Da erstan-
Ist ein voller Er- den ganze Land-
folg. Begeistert schatten, Dampf-
nahmen die LVR- walzen, Jongleu-
Mltarbelter Jan- re, ja sogar das
sens Appell auf, Manneken-Pis
kreativ zu werden wurde nachge-
und seine Punkte macht
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Bö T^-MflBu7«l
Außen gibt's nur Punkte. Die neue Kunst Ist im Innenhof
ZZ^mLS^*** iL
In trauter Einheit Südsee- Landschaft, ein Minnchen und ein Schneemann
Mein Werkverlauf zeigt, dass Sesshaftigkeit jeweils
zur Arbeit mit festen Materialien gefuhrt hat und
dass ich in Zeiten des Wechsels und Neuanfangs
mit einfachen, alltäglichen, leichten Materialien
gearbeitet habe. Das Prinzip der Wiederholung wird
so auch im Vergleich längerer Lebensabschnitte
erkennbar. Die vorher gehenden Erfahrungen
wiederholen sich und wirken auf die nachfolgenden.
Es sind aber nicht nur reine Wiederholungen,
sondern Wiederholungen mit Veränderungen —
Variationen. Im Leben erweisen sich die variierten
Wiederholungen als Verdichtungen, also umgekehrt
wie in der Musik: das Thema steht nicht am Anfang,
sondern wird erst im Laufe vieler Variationen immer
deutlicher. Zumindest ist dies meine Erfahrung, dass
die zentralen Themen erarbeitet werden müssen.
Sind diese verschiedenen Aspekte geklärt, können sie
sich aber auch zu einer größeren Struktur
zusammenfugen.
Ein Beispiel ist die Landeshaus-Beklebung mit roten
Kreisflächen (siehe Foto) und die damit verbundene,
außer Konzept geschehene Beteiligung der Leute
durch viele verschiedene Verfremdungen
(Variationen) der aufgeklebten roten Kreisflächen.
Eine solche Mitwirkung der Menschen findet sich
viel später wieder im countune-Projekt.
Ein anderes Beispiel ist die Linie. Das Prinzip der
Wiederholung, welches, wie in diesem Buch
ersichtlich, die Linie als wichtiges Thema begründete,
machte zwangsläufig klar, dass die Linie lediglich eine
Variation eines umfassenderen Themas ist: dem der
Natürlichen Zahlen. Diese wurden dann ab 1997
Basis für alle Arbeiten und ebenso ab 2009 auch
grundlegend für das countune-Projekt.
Die folgenden Seiten dokumentieren die systema-
tische Beschäftigung mit der Linie.
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Zeichnung 332, 30 Minuten (21 x 30 cm)
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Wochenzeichnung 41, 7 x 15 Minuten
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Woche 2
Woche 10
Woche 18
Woche 26
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Woche 34
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Woche 42
Woche 50
Woche 51
Woche 52
Wochenzeichnungen, jeweils 7x15 Minuten (50 x 50 cm)
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Monatszeichnung 7, 30 x 15 Minuten (70 x 100 cm)
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Monat 2
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Monat 9
Monat 10
Monat 12
Monatszeichnungen, jeweils 29, 30 oder 31 x 15 Minuten (70 x 100 cm)
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Zwischen Fläche und Raum — Erinnerungen II
Nicht nur, dass sich in den Jahren 1986 —
1991 mein äußeres Leben ganz umgeformt
hatte, auch mein Denken und mein künst-
lerischer Ansatz fühlten sich leichter,
vielleicht sogar farbiger und heiterer.
Zeugnis davon geben die Skizzenbücher
dieser Jahre. Es sind Aufzeichnungen,
nicht besonders genau, oft nur Hinweise
als Gedächtnisstütze, für Außenstehende
meist unverständlich, aber, wenn ich sie
jetzt durchsehe, wird ersichtlich, wie viel
Etüdenhaftes und Handgreifliches noch hätte
entstehen können.
Es waren vor allem zwei Ausdruckmittel,
die ich zwischen 1988 und 1991 für mich
entdeckte und die große Bedeutung be-
kommen sollten. Einerseits die Collage,
zwei- und dreidimensional, die, in ihrer
Weise, mein räumlich agierendes Tem-
perament zufrieden stellte, sowie anderer-
seits die Linie, als Spur schwarzer Tusche
oder als zwischen Nägelchen wechselweise
gespannter Faden. Die Mischung der in
diesem Umfeld entstandenen Ideen und
Skizzen und der daraus abgeleiteten
Arbeiten, deutete auf den Zwischen-
bereich von Fläche und Raum: in jeder
Ebene fand sich Räumliches und an jedem
Volumen die Tendenz zur Fläche. Hier
verknüpften sich das konkrete äußere Leben und das verborgene künstlerische Empfinden und
Erfinden. Es war gleichsam ein Treffen in der Mitte, ein unumgänglicher Kompromiss, denn es ging
nicht um Fragestellungen Fläche oder Raum betreffend, sondern um das beiden Dimensionen
übergeordnete Prinzip der Wiederholung.
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Die letzten Seiten dieses Buches zeigen die
Linie weitgehend unbeeinflusst von anderen
Techniken, allein verpflichtet der medi-
tativen Verfassung des Zeichners und der
Begrenzung der Zeichendauer. Der um-
fangreiche Werkblock steht am Ende der in
diesem Buch dargestellten Werkperiode. Es
handelt sich um Tageszeichnungen von
jeweils 30 Minuten, sowie um Wochen- und
Monatszeichnungen, die allerdings wiederum
aus einzelnen Tageszeichnungen von jeweils
15 Minuten bestehen. Wie hier in der
Detailabbildung ersichtlich, sind die einzel-
nen Bereiche verbunden: die Linie des
Vortags führt in den nächsten Tag, wo sie
weiter geführt wird und nachher wieder heraus ... letztlich besteht die ganze Zeichnung aus einer
einzigen Linie in Abschnitten. Jeder Teil entsteht relativ frei und gewinnt durch den Linienverlauf eine
charakteristische Gestalt. — In dieser Weise entstanden in den folgenden Jahren bis 1997 in der
Werkgruppe „Thema und Variation" (Werke VII) großangelegte Zeichnungs Serien, die nach und nach
wieder übergeordnete Strukturen zu erkennen gaben. Zunächst war es der Linienverlauf, der sich nach
einem äußeren Prinzip ordnete, dann, in dem sie zur Zahlenlinie wurde, geschah die Ordnung aus der
Linie selber.
Es ist schon eigenartig — so viele Experimente waren voran gegangen: erste Musikbilder um 1975 bis zu
großen multimedialen Anordnungen 1980, sodann die Besinnung auf in Gedanken zugeordneten
kleinen Zeichnungen und Modellen, die Zeiten der physikalischen und infolge der philosophischen
Skulpturen, die wichtige Zeit in Paris mit der Entdeckung der seriellen, minimalistischen Handlungs-
strategien, die Ausarbeitung dieses Ansatzes in Düsseldorf in umfangreicheren Zeichnungen und
Skulpturen und schließlich, wie in diesem Buch dokumentiert, die Rückgewinnung und Einverleibung
des spielerischen Tuns in den konzeptuellen Ausdruck. Wie sagt man doch wenn etwas Hand und Fuß
hat?: Da ist Linie drin. Damals, um 1991, erfasste ich noch nicht die Bedeutung und die Stringenz der
einzelnen Entdeckungen. Allein die Intuition war Motor und Kompass zugleich. Die Linie als Linie zu
belassen, nicht als Begrenzung und Darstellung von Formen, sondern die Linie, die wir mit dem Leben
ziehen, der entlang sich Ereignisse reihen, die jeden Atemzug verbindet, diese Linie ist hier gemeint
und diese Linie vermag, weil sie Eine ist, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Augenblick zu
fassen.
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18. März 1991, 15.00 - 15.30 Uhr
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Gerd Jansen mit Tony, 2012
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18. April 1991, 14.30 - 15.00 Uhr
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4. Mai 1991, 11.15 - 11.45 Uhr
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Juni 1991, 21.00 -21.30 Uhr
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Viel wurde in diesem Buch vom Spielerischen gesprochen und viele Beispiele finden sich in den Abbildungen.
Doch was ist dieses Spielerische eigentlich? Sicher, ein Aspekt ist das zwanglose Vorgehen, selbst wenn Regeln
gesetzt sind. Es besteht keine Absicht auf ein Ziel hin, wichtig ist nur die Neugier als treibende Kraft, die immer
wieder beginnt die Parameter zu verändern. Voraussicht sollte sparsam verwendet werden, stattdessen ein
Zulassen der unbewussten Kräfte und des intuitiven Antriebs. Natürlich gibt es ein Finden, Zusammenhänge
erschließen sich und Erkenntnisse stellen sich ein — aber es gibt kein Ende der Möglichkeiten. Die immer wieder
aufs Neue einsetzende Verbindung von Beobachten, Denken und Tun und die Versenkung in diesen Kreislauf,
macht das Spiel zu einer Kategorie, die den Menschen besonders auszeichnet und der somit auch einen hohen
gesellschaftlichen Wert zukommen sollte — das betrifft die grundsätzliche Einstellung der Menschen zum Leben
ebenso, wie etwa auch die Auffassung zur Geschichte und Tradition. Kein Spieler würde ein zweites Mal den
gleichen Fehler machen oder den Weg, der sich als falsch erwiesen hat, ein zweites Mal gehen. Die Geschichte
lehrt aber leider, dass die Menschheit als Ganzes ihre Möglichkeiten zunehmend verspielt.
Die gesamte Natur funktioniert gewissermaßen spielerisch. Darin liegt ihre Kraft und darum wird sie, zumindest
von den Menschen, im Spiel nicht besiegt werden können. Das Prinzip der Wiederholung wendet sie
unermüdlich an und bringt über alle Maßen Fülle hervor und wo sie zerstörend zu wirken scheint, stellt sie im
nächsten Schritt Wachstum und Schönheit. Doch dies sind menschliche Maßstäbe, Wert und Unwert
abschätzend. Die Natur denkt anders. Ein Baum etwa bringt unzählige Blätter hervor — nach seinen eigenen
Regeln - Feuchtigkeit und Mineralien werden aus dem Boden und aus der Luft genommen, die Sonne gibt Licht
und Wärme. So entstehen all die Blätter, alle gleich und doch alle einmalig. Ein unendliches Spiel mit
Ressourcen und Möglichkeiten, absichtslos und voller Wunder.
Auch habe ich in diesem Buch einige Male von Beobachtungen, Gedanken und Empfindungen in meiner
Kindheit geschrieben. Natureindrücke waren bei mir oft mit einem Gefühl tiefen Berührtseins verbunden,
welche wiederum Neugierde weckte und fragen ließ: Wie ist dies und jenes Phänomen nur möglich? Es war
faszinierend, dass die Naturwissenschaft Hinweise geben konnte und es war damals gleichfalls überaus
beeindruckend, dass ich in der Musik jenes tiefe Berührtsein gespiegelt fand. Dass sich hier das volle Bewusstsein
auf den Augenblick einstellte und so intensivierte, verstand ich erst später. Die Berührung allerdings ist darüber
hinaus eine naturgegebene, allgemeine Eigenschaft. Alles, auch Gut und Böse, befindet sich zusammen-
hängend, sich berührend in Bewegung und Veränderung. In der Natur ist es oft das Spiel der Potentiale: schwer
— leicht, kalt — warm, hart — weich . . ., die sich ausgleichen. Die Berührungspunkte zwischen den Menschen
sind ebenfalls unübersehbar und wenn kindliche Neugier waltet, eine riesige Spielwiese. Diese kann aber leicht
zum Schlachtfeld werden, wenn Egoismus die Freiheitgrade des Spiels erstickt.
Für mein eigenes Leben habe ich das Spiel der Kunst gewählt und es wäre mein schönstes Glück, hier dem
Spiel der vollkommenen Natur so nahe wie möglich zu sein. In dieser ständigen Annäherung ist das Prinzip der
Wiederholung zugleich Antrieb und Methode.
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Gerd Jansen in Köln vor dem Landschaftsverband, 1989
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Nachtrag
Die Ausstellung „Das Prinzip der Wiederholung" im Institut für bildnerisches Denken
8. Juli -22. Oktober 2005
Von den Installationen abgesehen, sind die in diesem Buch dokumentierten Arbeiten vor und nach
2005 nie öffentlich gezeigt worden. Daher lag der Wunsch nahe, mit diesen Werken einmal eine
Ausstellung einzurichten. So wählte ich im Juli 2005 einige Zeichnungen und beklebte Kartons und
entschied für die Hängung eine installative Anordnung. Für die Einladungskarte (hier abgebildet) griff
ich auf eine frühere Idee, Fotos von mir selbst zu verwenden, zurück. Die Idee war eine Ableitung der
Katalogfrauen-Installationen und fand hier in Christines Mitwirken eine Erweiterung.
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Literatur
Dank
Seite 6
Werner Heisenberg
Ordnung der Wirklichkeit
Seite 13 und 34
Aldous Huxley
Schöne neue Welt
für die Zitatcollage über längere Zeit gesammelte
Werbeprospekte aus dem Briefkasten
Abbildungen
Zeichnungen in der Regel A4-Format oder 40 x 40 cm
Seite 2
1988, Heftklammern, 120 x 150 mm
Seite 4
Skulpturen 1988, Verpackungsschachteln und Bindfaden
300 x400 x 180 mm
Seite 7
1988, Krepppapier und Heftklammern
200 x 200 mm
Seite 9
2000, Gerd Jansen mit den Kindern Nella und Lena
Seite 10
1995, Nellas Zeichnung zur Geburt von Rita
Seiten 12 - 34
nach einer Idee von 1989 habe ich 2012 Werbeprospekte
gesammelt und eine Geschäftslandschaft gebaut,
beklebte Kartons jeweils HOxllOx 330 mm
Seite 502
1989, Nägel und Faden, ca. 350 x 350 mm
Foto invertiert
Einband, Vorsatzblätter, Kapiteltrennung
verschiedene Kombinationen Heftzwecken, Stiften, Papieren
1989, 200 x 200 mm und 200 x 400 mm
für die einleitenden Worte
an Franz Joseph van der Grinten, Kunstsammler, Autor, Künstler
und an Josef Evers, in den Jahren 1988 - 1991 Kunstvermittler
und bis heute treuer Freund und Ratgeber
für Unterstützung und unermüdlichen Zuspruch an Christine
an Nella, Rita, Lena, für viele, viele Erkenntnisse, die eben nur
Kinder zu vermitteln vermögen
Impressum • Band VI
Herausgeber
Institut für bildnerisches Denken
Bergstraße 11, 79639 Grenz ach- Wyhlen
07624-989460
www.institut-fuer-bildnerisches-denken.de
Konzept, Zitatcollage und Gestaltung
Gerd Jansen, Grenzach-Wyhlen
www.gerd-jansen.de
www.countune.com
www.bild-konzepte.com
Fotos
Gerd Jansen
Satz, Lithographie und Druck
Gerd Jansen
aktuell ist das Buch lediglich als PDF-Version verfügbar
Auflage
Copyright 2015
Gerd Jansen
ISBN wurde noch nicht beantragt
500
Die Werkbuchreihe Gerd Jansen
Band I / Arbeiten 1975 - 1980
Band II / Arbeiten 1981/82
Band III / Arbeiten 1983/84
Band IV /Arbeiten 1985
Band V / Arbeiten 1986
Band VI / Arbeiten 1988 - 1990
Band VII / Arbeiten 1991 - 1996
Band VIII / Arbeiten 1997 - 2008
Musik im Bild?
Ergänzungsband / Zwei multimediale Installationen
Gedankenmodelle
Ein Experiment zur Ganzheit
ISBN 3-00-007984-X
Das Weltall als Idee
ISBN 3-935166-02-8
Die Komplementarität von Feld und Gestalt
ISBN 978-3-00-025726-1
Ergänzungsband / Arbeiten 1987 - Groß Skulpturen
Das Prinzip der Wiederholung
Thema und Variation
Bilder als Musik: Zahlen
Ergänzungsband / Lichtinstallationen
Ergänzungsband / Institut für bildnerisches Denken
Band IX / Arbeiten ab 2009
countune
Gerd Jansen, 1956 in Goch am Niederrhein geboren, studierte Physik in Göttingen und
Bildhauerei an der Kunstakademie in Düsseldorf. Seine Vision, auf der Grundlage des
Einheitsgedankens für seine bildnerische Arbeit ein Kompositionssystem zu finden,
erfüllte sich mit Verwendung der Natürlichen Zahlen (Band VIII). Der darüber hinaus
gehende Schritt, nämlich die Verwendung ausschließlich einer einzigen Kompositions-
regel, wird in der Werkreihe countune (Band IX) deutlich. Die Buchreihe zeigt diesen
außergewöhnlichen Weg.
Gerd Jansen lebt mit seiner Familie in Grenzach-Wyhlen, unweit von Basel. Hier
gründete er mit seiner Frau, der Pianistin Christine Jansen, im Jahre 2000 das Institut für
bildnerisches Denken.
501
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